Donnerstag, 30. Dezember 2010

Ois derf ma sei

Ausverkauf bei einer internationale Bekleidungskette und eine entsprechende Schlange an kaufwilligen Frauen vor der Umkleide. Neben der Umkleide steht ein Kinderwagen, darin ein schlafendes Kind. "Kinder kann man immer wieder bekommen" stellen Frau Giese und ich fest "diesen Kaschmirpullover zu 50 Prozent gibt es nur einmal im Jahr". Wir scherzen weiter, kommen dem Eingang der Umkleide näher.
"Der kleine Mann da draußen ist meiner" sagt eine Frau, bevor sie erneut in ihrer Spiegelhölle-aber-das-ist-doch-niemals-Größe-40 verschwindet - "würden Sie mir Bescheid sagen, falls er aufwacht?"
"Dör schlääft" beruhigt sie die toupierte Pelzträgerin hinter mir. "Falls wir wollen, dass eine Kabine frei wird, sollten wir ihn vielleicht wecken" schlage ich vor, dem nahenden Orkan der Empörung im kinderfreundlichen Deutschland mutig ins Auge blickend.
"Harrharr" wiehert die um einige Jahrzehnte mehr Sale-Erfahrung habende Dame "dös is a gute Idee. Ois derf ma sei, bloß blöd ned" führt sie an und wir lachen. Solidarität kann so einfach sein.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Von Zufällen


Drei unterschiedliche Auffassungen über das Leben konfligieren in meinem Umfeld: die einen sagen, es gibt ohnehin nur Zufälle, daher ist es egal, was Du tust, die zweiten sagen, es gibt keine Zufälle, alles ist Schicksal, und die dritten sagen, Du hast alle Entscheidungen in der Hand. Ich habe heute morgen versucht, mein letztes Jahr anhand von Entscheidungen, Zufällen und Schicksal zu sortieren.

Der wichtigste Moment im letzten Jahr war von einer Entscheidung geprägt. Als ich im klapprigen Lieferwagen über den Berliner Ring gefahren bin und ganz laut 'Tschüs Neukölln' gerufen habe (an dieser Stelle das Geständnis - ja, ich habe eine kleine Muriels-Hochzeit-Szene nachgespielt und auch 'Tschüs Ihr Surfer' gerufen, aber hey, im Auto ist alles erlaubt).

Andererseits hatte ich lange das Gefühl, der Job, für den ich umgezogen bin, sei mir zugefallen, ich hätte ihn also vielleicht sogar nicht verdient? Ist der Zufall also wirklich mein Freund?

Die Entscheidung, nach München zu gehen, habe ich in den letzen Monaten mitunter verflucht, ich habe geweint und hatte schreckliches Heimweh.

Es ist sicher Teil meine Schicksals, dass ich mit meinen Eltern so oft umgezogen bin, dass ich zunächst relativ gelassen auf die Aussicht sehe, umzuziehen, die Konsequenzen andererseits vielleicht unterschätze. Und war es Schicksal, dass ich einigen Menschen begegnet bin, die genauso wenig 'MünchnerIn' sind, wie ich? Und können wir aus dieser Schicksalsgemeinschaft München ein bisschen mehr erobern, etwas mehr unser München schaffen?

Ich entscheide mich jedenfalls dafür, es ein weiteres Jahr zu versuchen, mit den Zufällen in dieser südlichen Ödnis zurechtzukommen und vielleicht spielt mir das ein oder andere Schicksal in die Hände.

Dienstag, 28. Dezember 2010

reverb 10 - ordinary joy

December 27 – Our most profound joy is often experienced during ordinary moments. What was one of your most joyful ordinary moments this year?
Mein schönster Moment dieses Jahr war, als ich am ersten Tag von meinem neuen Job nach Hause ging. Ich habe mir vorgestellt, dass das jetzt mein neuer Arbeitsweg ist, er führt an einem Bach entlang, durch die Auen.
reverb10.com

Sonntag, 26. Dezember 2010

Maischberger III


Dinge, die ich zum ersten Mal getan habe: Ich habe ein Dirndl gekauft und getragen, ich war allein auf einer Milonga, ich war auf zwei regionalspezifischen 'Volks'festen, ich habe einen Ehering gekauft und zeitweise getragen, ich bin wegen eines Jobs und nicht wegen der Liebe in eine andere Stadt gezogen, ich bin ohne meine Eltern über den Brenner gefahren, ich war in der Oper und dann gleich nochmal, ich habe (versehentlich) etwas geklaut, ich habe Wesel und Stendal besucht, ich habe meine Gefühle gezeigt, auch an unpassenden Orten und Gelegenheiten, ich habe Friedrich Ani angesprochen (was, zugegeben, etwas peinlich ist), ich habe mich Peinlichkeiten getraut..

Dinge, die ich mich nicht getraut habe: nackt im englischen Garten liegen, Im Eisbach/in der Isar schwimmen, skifahren, bergwandern, im Mittelmeer schwimmen, nach Hause gehen, zugeben, dass ich nach Hause will, herausfinden, wo zu Hause ist, meine Gefühle zum richtigen Zeitpunkt zeigen, einen Anzug bei Herr von Eden anprobieren.

Samstag, 25. Dezember 2010

Mach mir die Maischberger II

Eine erfolgreiche Integration hängt maßgeblich davon ab, wieviel Kontakt zu den Menschen in der "Aufnahmegesellschaft" möglich ist. Diese Auffassung halte ich für etwas schematisiert, aber eine soziale Anbindung kann doch hilfreich sein.

Ich habe in der Bilanz in München mehr Menschen kennen gelernt, über die ich mich gefreut habe, die mir etwas gegeben haben oder die mich gar glücklich machen, als solche, die es nicht tun. Insgesamt würde ich sagen, dass ich in diesem Jahr insgesamt mehr Menschen kennen gelernt habe, als im letzten Jahr, darunter mich selbst mal wieder etwas näher.

Da die meisten davon in München leben, könnte das auf eine positive Integrations-Zwischenbilanz hindeuten, aber wir haben ja noch die anderen Teile des Jahresrückblicks vor uns.

Freitag, 24. Dezember 2010

mach mir die Maischberger

Okay, auch hier wird es den ultimativen mehrteiligen Jahresrückblick geben.

Bücher:
In meiner Erinnerung ist die Liste ziemlich kurz, aber die vergessenen Bücher können nicht so interessant gewesen sein.

Hier meine Top 3 (neu):
1) Friedrich Ani: Süden und der Luftgitarrist.
Überhaupt hat das Ani-Gesamtwerk mir München näher gebracht bzw. erträglich gemacht.
2) Jonathan Safran Foer: extremely loud and incredibly close.
3) Jonathan Franzen: Freedom.

Top 3 Crime:
1) Friedrich Ani: Süden und der Luftgitarrist.
2) Josh Bazell: Schneller als der Tod.
3) Steve Toltz: Vatermord und andere Vergnügen.

Die Top 3 read-agains:
1) Capote: Frühstück bei Tiffany
2) Donna Tartt: The Secret History
3) Scarlett Thomas: Troposphere
am häufigsten gelesen in 2010: meine Dissertation.

Die Top-3 nicht oder unter Zwang zuende gelesen:
1) Faldbakken: Unfun
2) Thor Kunkel: Schaumschwester; was besonders traurig war, denn ich bin eine große Thor-Kunkel-Fanin...
3) Veit Heinichen: Jedem seinen eigenen Tod.

Top-Sachbuch:
Merri Lisa Johnson: Jane sexes it up.

Bei Filmen kann ich nicht sagen, dass ich über einen ausreichenden Überblick verfüge, würde aber "Precious" ganz oben auf die Liste setzen.

E-Kultur-Entdeckung: Die Oper. Ich hätte nicht gedacht, dass ich solchen Spaß in der Oper haben könnte.

Freitag, 17. Dezember 2010

Skikrieg und Dachlawinen

Heute stand auf einer der großgeschriebenen Zeitungen "Skikrieg auf den Hausbergen" worüber ich eine Weile nachdenken musste. Die gemeine Zugezogene weiß a) nicht wo Hausberge sich befinden, b) nicht wie so ein Skikrieg aussehen kann (Fechten mit Langlaufbrettern?) und fühlt sich c) auch vom so genannten "Schneechaos" - auch als "Winter" bekannt, nicht sonderlich beeindruckt. Sie hält es wie einst in der Okerstraße: Essen kaufen, Buffy-Bestand auffüllen und ansonsten weitermachen. Dennoch, in Kopenhagen sah ich einige Dachlawinen, deren Existenz mir in München nur von Schildern bekannt war. Ich wage kaum, darüber zu schreiben, aber es stellt sich mir die Frage, welche Wirkung das Schild haben könnte.

Dachlawinen sind schnell, kalt und weitgehend geräuschlos. Wenn ich nach einer Dachlawine noch ein Schild sehen kann, auf dem steht "Vorsicht, Dachlawinen" wüsste ich nur, was mir gerade passiert ist. Daher steht auch in Neukölln nirgends ein Schild mit dem Inhalt: Vorsicht, Eisplatten, Rutschgefahr. Sondern es wird einem ein "Mann, passdomalaufey" zugeraunzt. Fertig. Weitermachen.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Alles hat einen Preis...

hat mir jemand gesagt. Und meinte damit unter anderem mich. Ich bin nun schon eine Weile im geschäftsfähigen Alter, habe mich aber noch nie wirklich verkauft, außer im üblichen Rahmen der Erwerbstätigkeit. In diesem Fall habe ich mich das erste Mal benutzt gefühlt. Vielleicht geht es den Meerschweinchen auch so, wenn sie nur dafür da sind, um im Käfig süß auszusehen.
Ich kratze mich derweil mal mit meiner Pfote hinter dem Ohr und quieke.

Montag, 6. Dezember 2010

Von Meerschweinchen

Morgens sehen meine Haare manchmal aus wie die eines Meerschweinchens. Vor allem, wenn ich auf der Seite geschlafen habe. Aber das ist hier gar nicht Thema. Seit ich mein Unglück mit dieser Stadt thematisiere habe ich das Gefühl, auf eine Welle der Unterstützung zu treffen, wenigstens thematisch. Niemand hat kein Verständnis dafür, dass ich es langweilig finde in der bayerischen Ödnis, dass ich vor Unzufriedenheit und Heimweh manchmal nicht mehr atmen kann. Gleichzeitig löst dies bei mir Verteidigungsreflexe aus, denn ich habe mich schließlich dafür entschieden. Ambivalente Informationen sende ich aus und frage mich dabei im Kern, ob es reicht, zu akzeptieren, dass auch dies nur ein weiterer Übergang ist, dass ich weitersuchen werde und dennoch zufrieden sein kann wie ein kleines dickes Meerschweinchen oder ist es diese Zufriedenheit, die mich vom Suchen abhalten würde? Und was machen Meerschweinchen eigentlich, wenn sie nicht in Käfigen eingesperrt sind?

Freitag, 3. Dezember 2010

zu Hause


Und vielleicht wird doch alles anders:

Und die Hügel rufen meinen Namen
und all meine Träume tragen Erde in sich

Heute lag eine CD mit den Gedichten von herr mario in meinem Briefkasten. Die Stimme kommt aus meiner popeligen Kompaktanlage und schafft eine winzigkleine Blase die zu Hause heißt.

Danke.

Poldi an der Isar

Als Lukas Podolski zu Bayern München wechselte haben die Kölner geweint. Zufällig habe ich damals Fußball geschaut und auch gesehen, wie seine Freundin geweint hat und ich glaube, er auch. Obwohl er ein Mann ist. Und Fußballer. Bei den Bayern saß er dann meistens auf der Bank und war nicht glücklich und wechselte nach drei Jahren wieder zurück nach Köln, obwohl er einen Vertrag bis 2010 hatte. Fußballer sind ja oft depressiv, das weiß man inzwischen. Jetzt ist alles wieder gut, weil Poldi wieder zu Hause ist.

Ich bin ja ganz ohne Ablösesumme nach München gewechselt, genau genommen hat das sogar ziemlich viel Geld gekostet. Ich sitze auch nicht auf der Bank, weil es bei uns gar keine gibt und auch keine Bälle und Tore aber das ist ja auch klar. Trotzdem kann ich den "Poldi" verstehen, weil es sogar wenn man nicht weltberühmte Fußballerin ist, oder vielleicht gerade dann, verdammt schwer ist, ins Spiel zu kommen. Ich gehe jetzt mal raus und kicke ein bisschen in die Schneehaufen.