Sonntag, 30. Mai 2010

Exkurs: Nordflucht - P.A.

Ich muss meine bisherigen, ungeäußerten Einstellungen revidieren, wir haben doch ein Generationenproblem. Jüngst auf dem Weg zum Regionalexpress Kiel-Hamburg traf ich auf eine große Gruppe soeben erholt von ihrer Karibik-Kreuzfahrt angekommenen KreuzfahrerInnen Ü60. Mit dem Rucksack an einer leeren Bank innehaltend, um kurz an den Inhalt der Tasche zu gelangen, biss es von rechts: "hier ist besetzt!" Blaue Augen blitzten mich aus sonnengegerbter Haut an, jederzeit bereit, unter Einsatz des Trolleys die gesamte Metallgitterbank zu verteidigen.
Im Zug weitere aktive und passive Aggressionsattacken. "Wer hier seine Tasche auf dem Sitz hat, hat wohl auch dafür bezahlt? Haben die dafür bezahlt, Klaus-Peter? Klaus-Peter? Die haben wohl dafür bezahlt" ( sich entfernend wiederholt der Hinweis auf die Tasche auf dem Sitz).

Weiter ging es in Hamburg: Annemarie bleibt auf der Treppe stehen, hält sich am Geländer fest, den Trolley fest neben sich, nebst Uwe, Edeltraut und Gertrud auf der gesamten Treppe. "Müssen wir jetz - jetz hier? Sachma - müssen wir - aber da kommt zuerst der Zuch nach Münster?" Ausweichversuche scheitern. Schüchtern wage ich ein: Entschuldigen Sie bitte, würden Sie mich vieleicht vorbeilassen?" "Ach, müssen Sie nach Münster?!" Strenges Blitzen, in Zweifel würde die Treppe durch eine Diskussionsgruppe blockiert werden.

Mir stellt sich im Anschluss die Frage, was eigentlich auf diesen Kreuzfahrten gemacht wird. Wird ein Aggressionstraining durchgeführt? "Passive Aggression in Alltag" für Einsteiger und Fortgeschrittene.

Freitag, 28. Mai 2010

Super-München

München ist die Stadt der Superlative. Das fällt mir immer wieder auf, zuletzt heute morgen, als ich ein Plakat mit der Aufschrift sah: Würdige Gestecke zu reellen Preisen. Ich war ehrlich beeindruckt. Was hätte man schreiben sollen: schön geht für den Anlass nicht (es ging um Trauergestecke), hübsch, fesch, alles zu freudig - traurig, hässlich, stumpf...nein da passt nur: würdig. Und umgekehrt passt würdig nirgendwo sonst: mein Freund hat mir einen würdigen Rosenstrauß geschenkt. Und billig, nein billig soll es auf keinen Fall sein. Aber eigentlich schweife ich ab, denn ich habe gestern die Inititation durchlebt: ich war bei Dallmayer. Genau. Das gelb leuchtende Stammhaus. Und vorab: es sieht innen nicht aus wie in der Werbung. Es sieht besser aus. Ich könnte in diesem Laden mein komplettes Monatsgehalt lassen, was sich ungünstig auf den Jeansrock auswirken würde. Alles ist absurd teuer, deshalb wäre es wohl doch nicht so schlimm. Aber auch für die - jüngst von der Zeit so bezeichneten - konsumfreudige Unterschicht (sic!) ist gesorgt. Sie kauft dann statt der Pralinenschachtel für 20 Euro einfach die Schachtel in der nur ein Trüffel ist - für fünf Euro. Doch zurück zum Superlativ: Alles ist schöner, sauberer, neuer, besser, teurer in München als anderswo. Falls sich das jetzt verwirrt liest, dann liegt das am Schokoladenladenrausch.

Mittwoch, 26. Mai 2010

Die denken an nix Anderes

"Guten Abend. Kommen noch mehr?" "Nein, ich bin allein" "Darf ich Sie dann bitten, sich an einen kleineren Tisch zu setzen?" - Dieser kurze Wortwechsel mit der Kellnerin meiner Noch-nicht-Stammkneipe führte dazu, dass ich neben einer Version von Rose der Golden Girls (nur 30 Jahre jünger) und ihrer Tochter saß. Neue Einblicke in das Verhältnis von Frauen und Männern in Bayern folgten:

Mutter: "Die denken an nix anderes! Können sie gar net"
Tochter: seufzt.
Mutter: "War bei deim Vater auch so. Den Rock hochgeschlang, den Slip zur Seite geschobn und los gings"
Tochter: seufzt.
Mutter: "Kann ich Dir nur raten. Wenn der Thomas eine junge Sekretärin bekommen sollte, sorgst Du dafür, dass er eine Ältere bekommt."
Tochter (zur Kellnerin): "Können wir zahlen?!"

Tiefes Verständnis machte sich in mir breit.

Nach dem letzten Schluck Weißbier eröffnete die Tochter:
"Man sollt einfach erkennen, dass es un-er-läss-lich ist, regelmäßig Sex zu machen. Auch wenn a Kind da ist. Dös ist ja hormonell dann schwierig, auch wegen der Geburt, aber es ist unerlässlich"
Mutter: "Wie unermesslich?"
Tochter: "Na wegen den Hormonen bei der Geburt. Da ist man nur aufs Kind fixiert"
Mutter: "Des war bei mir nie so"
Tochter: "Ich war ja auch ein Kaiserschnitt"
Das Gespräch setzte sich bis zum Aufbruch über anatomische Veränderungen nach einer Geburt fort. Ich lerne täglich dazu.

Dienstag, 25. Mai 2010

safe home

Ein Lied von Anthrax heißt so "you have always been my safe home". Entsprechend pathetisch, mit verzerrten Gitarrenriffs und innerlich headbangend kam ich am Wochenende in Berlin an. Nur um zu merken, dass es so ist wie immer. Eigentlich kenne ich keinen, auf der Straße sehe ich bekannte Gesichter, weil alle die gleiche aschbraune Ponyfrisur tragen (versus, aufmerksame LeserInnen erinnern sich: blonde Strähnchen an der Isar) - und in Wirklichkeit bedeutet der Sozialkontakt in Berlin wie überall: telefonieren, verabreden, verschieben. Der erwartete rote Teppich mit Empfangskommittee stand auch nicht in Tegel bereit. So verbrachte ich aber wenigstens ein paar Tage ohne Konjunktiv. Das war gut. Den Rückflug verbrachte ich standesgemäß neben einem Herz- und Gefäßchirurgen.

Ich schreibe jetzt nicht, wie das Anthrax Lied weitergeht, zuviel Pathos lässt den Server abstürzen, fürchte ich.

Freitag, 21. Mai 2010

Schluckauf, Tiefsee, Liebe

gestern war ich in einem Café mit kollegialem Anschluss und stelle fest, dass ich mich für Minuten fast zu Hause fühlen kann. Der kollegiale Anschluss und ich, beide frisch migriert, verglichen unsere Migrationserfahrungen und unser Befinden vor Ort und allein das problemzentrierte Teilen erleichterte das Dasein. Wir identifizierten dann noch die am wenigsten erforschte Gebiete der deutschen Wissenschaftslandschaft: Schluckauf, Tiefsee und Liebe. Erleichtert wurde das Dasein dadurch, dass in besagtem Café mehrere Personen allein (!) saßen, ohne betreten zu Boden zu blicken oder Tracht zu tragen. Integration - ich nähere mich Dir.

Donnerstag, 20. Mai 2010

Wir gehen dann mal.

Gestern war ich auf dem Konzert einer Cover-Rock-Band. Als Feldstudie zum Gitarrelernen. Was ich stattdessen lernte, war, dass selbst auf Konzerten nur Paare sind. Und dann sagte der Sänger: wir sind die einzige Band, die ihre Groupies schon vorher geheiratet hat.

Anwesende Frauen johlten (alle verheiratet), die Eltern und Kinder der Bandmitglieder auch. Und die Freundinnen und Freunde, alles Paare, freuten sich und zogen ihre gleichfarbigen Windjacken von Jack Wolfskin aus, um mal so richtig zu rocken.

Dark Munich again - Warum es in München keine Hundehaufen auf der Straße gibt...


...weil drohende Mahnmale, dessen, was mit Hunden geschieht, die ihre Haufen nicht korrekt absetzen.

Ökumenischer Kirchentag oder: treffen sich 100.000 Christen


Kommentarlose Impressionen. Ich mittenmang. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass der ein oder andere Besucher Thermokissen dabei hatte. Zunächst habe ich das noch milde belächelt. Zunächst.

Donnerstag, 13. Mai 2010

Herr Rossi

Gestern sprach ein Bekannter von einem "kleinen Leben". Den Begriff habe ich noch nie gehört. Das kleine Stück Leben, das am Ende des Arbeitstages mit Rekreation ausgefüllt wird und dem was da sonst so ist. Irgendwie erinnert mich das an Signor Rossi, der ein kleines Stück vom Glück sucht. Wo ist das Stück und kann ich dieses Stück Leben wirklich vom Stück Leben zwischen 8 und 18 Uhr abgrenzen?

Mittwoch, 12. Mai 2010

Ballettöse Mülltonnen

Als ich heute morgen ganz selbstverständlich (und wie zukünftig jeden Morgen) zum Laufen an die Isar aufbrach (was nichts mit nahenden Turnieren und zu engen Jeansröcken zu tun hat, ich mach das für mein Wohlbefinden), fiel mir ein Mann auf, der in leuchtend oranger Kleidung neben unserer Toreinfahrt lehnte. Ein oranges Auto nahte heran und ich bekam ein Gefühl von Heimat. An was erinnerte mich das? Richtig, an die gemäß maskulinem Imponiergehabe herumbrüllenden Müllwerker in Neukölln. Die Tonnen wurden in Neukölln etwa dreimal pro Woche morgens gegen sechs abgeholt und das Ziel war offenbar, soviel Lärm pro Tonne wie möglich zu erzeugen. Hier ist das anders: Balletttänzern gleich bugsieren die Herren in orange die Tonnen an Fahrrädern und Toreinfahrten vorbei. Ich hab hier noch nie etwas gehört. Und gebrüllt wird auch nicht. Ein bisschen fehlt mir was.

Donnerstag, 6. Mai 2010

fade to grey

Seit gefühlt drei Wochen, auf jeden Fall aber diese Woche ist es grau in München. Mindestens ein November-Berlin-Neukölln-grau. Dem folgt a) dass ich mich nicht schlecht fühlen muss, wenn ich nicht rausgehe, denn das würde auch keinE MünchnerIn tun. Dennoch habe ich mir das b) hier ein bisschen anders vorgestellt: den Mai im Biergarten verbringen, wo es noch kaum Wespen gibt, fesche helle Kleidung tragen, mich sozial integrieren. Stattdessen ist es grau innen wie außen. Wenigstens habe ich jetzt meine Gitarre und kann ein A-Moll spielen. Morgen geht es nach Berlin. Endlich.

Montag, 3. Mai 2010

Entschuldigen Sie bitte, wo geht es hier zum rocken?


Angesichts meiner neuen Bekanntschaft mit einer (jetzt weiß ichs) Ibanez-Gitarre habe ich natürlich sofort eine E-Gitarrenstunde genommen, die bei einem gewissen Christian H. stattfinden sollte. Der bislang weiteste Weg führte mich nach München Neuhausen, das original wie Frankfurt Eschersheim aussah. Hier sollte ich rocken lernen? Vor eine 50-er Jahre Mehrfamilienhaus klingelte ich dann bei Herrn H. Der hatte tatsächlich zwei Gitarren, konnte ein A von einem D unterscheiden und mir beides didaktisch vermitteln. Dass ich die Stunde dennoch lieber in 36 in einem Schrammelprobenkeller des Rauch-Hauses genommen hätte versteht sich von selbst.

Meisterland

Der FC Bayern München ist erneut deutscher Meister geworden. Hertha BSC ist abgestiegen. Das heißt: der Konflikt zwischen den Regionen hat sich nun von der intrapersonalen Ebene auf die - ja - wie kann ich das sagen - auf die vereinsbezogene Ebene verlagert. Bayern, das Meisterland, mit schönem Wetter, Lebensqualität und vielen Jobs, München, die Stadt in der frau nicht ohne Lippenstift aus dem Haus geht gegenüber Berlin.

Die Frage, die sich anschließt ist ja, kann ich mich mit soviel Meisterei identifizieren? Kann ich sagen: wir sind Meister? Das klingt wie "wir sind Papst" und das will heute ja keiner mehr so richtig sein. Und kann so viel Leistungsdruck gesund sein? Wir haben die Alpen, die Dirndl, die Brezn und jetzt auch noch die Meisterschale...